Sein Kopf rauchte. Angestrengt überlegte er, was er ihr zeigen könnte. Das Schloss hatte sich ein wenig verändert während der letzten Tage, dadurch, dass das Krankenhaus und das Ministerium sich hier eingenistet hatten und ganze Stockwerke nicht mehr frei zugänglich waren. Allerdings war es ganz praktisch, dass jetzt alle Klassenzimmer in einem Stockwerk waren. Man musste nicht mehr hetzen und verlief sich zwischen den Stunden auch kaum. Das wäre also etwas, was er ihr zeigen konnte. Dann hätte sie immerhin schlafen, essen und Unterricht abgedeckt.
Raphael räusperte sich , als sie etwas näher zu ihm trat. Ihm wurde warm und er brauchte einen Moment um sich daran zu erinnern, was er eben gedacht hatte. Sein Mund öffnete sich und entließ Stille in die Außenwelt. Er versuchte es noch einmal. „Die... Die Große Halle ist wichtig. Wenn du die schon kennst ist das super. Ich... Könnte dir den Weg vom Ravenclawraum in den vierten Stock zeigen, da findet dieses Jahr fast der gesamte Unterricht statt.“ Er könnte sie auch jeden Morgen zum Unterricht bringen und sie abholen und mit ihr essen gehen... Seine Wangen röteten sich leicht. „Und der See auf dem Gelände ist auch schön. Das Dorf lohnt sich eigentlich auch. Aber... Wollen wir im Schloss starten?“ Er schulterte seine Tasche und schlenderte langsam in Richtung des Ausgangs der Bibliothek. „Hast du... Hobbies? AGs oder Quidditch?“

Theoretisch hätte Tara jeden anderen im Schloss fragen können, wo was war. Also, den Weg zur Großen Halle hatte sie sich ja komplett erfragt, und auch den wieder zurück zu den Gemeinschaftsräumen. Wie peinlich war das eigentlich, sich in der eigenen Schule nicht auszukennen? Nun gut, sie war noch nicht lange hier, aber dennoch... nicht gut. Umso besser, dass sie jetzt Raphael-kun getroffen hatte, der sich ganz freiwillig gemeldet hatte, ihr zu helfen. „Im Schloss starten klingt gut. Und wenn du Tipps hast, wie man sich nicht verläuft, immer hier damit.“ Sie zögerte einen Moment, dann prüfte sie noch einmal den Sitz ihrer Handtasche dann folgte sie schnell dem Jungen aus ihrem Haus. Als sie ihn erreicht hatte, hakte sie sich einfach bei ihm unter, um sich von ihm durch das Schloss führen zu lassen. „Aber ich finde der See ist auch eine super Idee. Da war ich noch nicht, aber er sieht von hier drinnen immer so verführerisch aus.“ Fröhlich plappernd verließen die beiden die Bibliothek. Wobei Tara der plappernde Part war.
„Ich war zu Hause im Kunstflug-Team, aber das gibt es bei euren AG-Aushängen nicht, das finde ich ein bisschen schade.“ Obwohl sie nicht einmal die höchsten Absätze trug, die sie besaß, tönte das Klack, klack, klack, klack ihrer Schuhe unangenehm laut durch die Gänge, dass sie beschloss, das Gespräch einfach weiter zu führen. „Und, was treibst du so, wenn du nicht gerade Hilfslose Mitschüler durch die Gegend führst?“, fragte sie also und lächele den Jungen freundlich an.

Er war wirklich kurz davor, mit einem Mädchen durch das Schloss zu laufen? Was, wenn ihn jemand dabei sah? Es war ein hübsches Mädchen. Das würde ihm garantiert keiner glauben, wenn er es erzählte. Wobei – er hatte niemanden, dem er so was sagen würde. Vielleicht Mats. Und Mats hatte ihm ja eh nicht geglaubt, dass er nicht gut mit Mädchen konnte. Also fiel Mats raus.
Tara lief ihm hinterher und dann – Raphael zuckte leicht zusammen. Sie hakte sich bei ihm ein? Er hatte das Gefühl, als würde jemand seinen Magen vom Astronomieturm werfen. Wie seltsam. Dabei war einhaken doch etwas völlig normales. Raphael wäre gern schreiend durch das Schloss gelaufen bei dem Gefühl, das es in ihm auslöste. Er war froh, dass ihre Worte ihn ablenkten. Er merkte sich vor, dass er sie zum See führen musste bei Gelegenheit. Wenn sie das fröhlich machte, dann würde er definitiv dafür sorgen.
„Kunstflug?“, echote er und sah sie von der Seite her an. Es gab wirklich eine Kunstflug-AG an anderen Schulen? Ihre Frage ließ ihn etwas ratlos zurück und er lief mit ihr am Arm in Richtung der Treppen. Zuerst würde er sie in den vierten Stock führen und von da aus eine Abkürzung zum Gemeinschaftsraum suchen. „Ich lese viel“, sagte er dann schließlich. „Ich lerne viel. Eigentlich verbringe ich meine Zeit fast immer mit der Nase in einem Buch.“ Das klang so unglaublich langweilig, dass es ihm schon peinlich war. „Also, ich meine...“ Besser früh als nie. „Ich verbringe meine Zeit eher alleine. Bin nicht so der Typ für große Menschenmassen und so...“ Seine letzten Worte verklangen eher in einem Nuscheln und er warf ihr einen schnellen, vorsichtigen Blick zu. Wenn sie ihn nun uncool fand... „Hast du schon Freunde gefunden?“ Sie erreichten die Treppen und Raphael blickte lächelnd auf die sich bewegenden Stufen.

Theoretisch hätte sich Tara zumindest für einen Moment lang überlegen können, ob sie vielleicht nicht doch eventuell ein bisschen zu direkt war. Immerhin... sie kannte das Leben so. Nett und direkt an andere ran hängen. Sie hatte kein Problem damit, direkt an Menschen zu hängen, die sie frisch kennen gelernt hatte, solange diese Leute okay waren. Aber ob das den besagten Menschen auch recht war, das konnte sie nicht sagen. Immerhin wurde sie nicht direkt weggeschoben. Stattdessen wurde brav auf ihre Worte geantwortet. Nun, damit konnte sie doch arbeiten. „Ja, Kunstflug.“, antwortete sie lächelnd, „Nicht ganz so spannend wie Quidditch. Eigentlich eher unspektakulär, würden wahrscheinlich die meisten sagen. Man fliegt halt auf einem Besen und macht damit Kunststücke. Loopings, darauf stehen, Purzelbäume drum herum, auf den Besen eines Teamkameraden springen... all sowas. Dafür benutzt man auch keine Rennbesen... eher gemütlichere Modelle, die auch kleine Fehlerchen erlauben.“ Während sie so vor sich hin erzählte, waren sie an der Treppe in die anderen Stockwerke angelangt und Tara lies sich widerstandslos nach oben führen, während jetzt Raphael-kun dran war mir erzählen. Auch wenn er nicht so viel redete wie sie. „Aber nur weil man keine Menschenmassen mag, heißt das ja nicht, dass man mit niemanden etwas unternehmen will, oder? Du kannst ja mit deinen Freunden zum See gehen oder in der Sonne sitzen und das leben genießen und so...“ Sie fuchtelte ein bisschen mit dem freien Arm herum, um ihre Worte zu unterstreichen, verstummte aber relativ schnell, als er sie nach ihren Freunden fragte. Die nicht vorhanden waren. „Etto... ich hatte bisher nicht viel mit den Schülern von hier zu tun.“, antwortete sie, ungewohnt zögerlich. „Irgendwie haben sie alle ihre... eigenen Probleme. Aber einen habe ich getroffen, den mag ich eigentlich schon ganz gerne, der zeigt mir das Schloss.“, grinste sie und drückte Raphaels Arm ein bisschen. Hoffentlich verstand er die kleine Andeutung. Oben am Treppenabsatz angekommen sah sie sich verwirrt um. War sie hier schon einmal gewesen? Konnte sein, musste aber nicht. Hilfesuchend sah sie zu Raphael hinüber.

Ihr Kunstflug-Kurs klang wesentlich interessanter als Quidditch. Dem Sport hatte er noch nie etwas abgewinnen können. Man warf sich auf Besen fliegend einen Ball zu und am Ende gewann ohnehin die Mannschaft, die den besseren Sucher hatte. Zumindest war es oft so und von den wenigen Spielen, die er sich angeschaut hatte, war keines gewesen wo nicht der Schnatz-Fang die Entscheidung gebracht hatte. „Klingt nach Spaß“, sagte er deshalb. Er selbst konnte sich das nicht vorstellen. Was wäre er denn dann? Ein Kampfschwein auf einem Besen? Dafür war er so... massig. Er war eben durch die viele Arbeit und viel Sport durchtrainiert. „Kannst du das hier nicht auch einfach so machen?“
Sie stiegen die Treppen hinauf. „Wir waren zwar schon im vierten Stock“, erklärte er kurz, „aber ich zeig dir mal einen schnelleren Weg vom Gemeinschaftsraum wieder zurück.“ Das Thema drehte sich um Freunde. Dummerweise hatte er es selbst vorgeschlagen und Raphael verzog leicht das Gesicht. „Ich habe auch keine Freunde“, sagte er dann kleinlaut. „Also, um genau zu sein habe ich einen. Einen Hufflepuff ein Jahr über mir. Der ist wirklich toll.“
Sie drückte seinen Arm und er starrte sie kurz an als wäre sie ein Stück Kuchen. Meinte sie ihn? Freunde? Dieses kirschige Mädchen und er? Blinzelnd senkte er den Blick. „Ich wäre gern dein Freund.“ Das klang irgendwie falscher als gewollt, aber er versuchte gar nicht erst sich irgendwie doof herauszureden.
Vor dem Gemeinschaftsraum blieb er kurz stehen und sah zu der Tür. „Möchtest du deine Sachen wegbringen? Sonst zeig ich dir jetzt mal einen etwas kürzeren Weg, da umgehst du auch das Risiko, dass die Treppen dich plötzlich verschleppen.“ Er lächelte sie leicht an.

Manchmal hatte Tara darüber nachgedacht, wieso sie immer noch pummelig war. Sie war in diesem verdammten Kunstflug Team gewesen. Mindestens zwei Jahre lang. Das war Sport gewesen. Wirklich anstrengender Sport. Klar war sie nicht perfekt gewesen, wie wirkliche Profisportler, aber es war etwas gewesen. Sie hatte sich bewegt und wirklich Spaß damit gehabt. Mehr, als sie je im Quidditch hätte haben können. „Das war es auch.“, gab sie wahrheitsgemäß zu und lächelte ihn an. „Ich habe keinen Besen. Und gute Besen sind teuer. Außerdem ist das auch eine Mannschaftssportart, an die ich mich nicht alleine trauen würde.“ Allein was passieren konnte, wenn man wegen einer unglücklichen Bewegung vom Besen viel war... unhübsch.
„Ah, okay. Ich nehme alle Wege mit, die ich bekommen kann. Sofern ich sie mir merken kann.“, kicherte sie und wurde wieder ernst, als er von seinen Freunden zu sprechen begann. Gar keine? Erstaunt starrte Tara den dunklen Jungen mit den interessanten Augen an. Wirklich nicht? Wie konnte man nur ohne Freunde leben? Um so besser war es für ihn, dass er sie gefunden hatte, beschloss sie, seinen Arm ein bisschen besser fassend. „Gut. Dann sind wir jetzt Freunde.“, entschied sie und lächelte fröhlich. DAS war ja wirklich einfach gewesen. „Und den Hufflepuff stellst du mir auch noch vor, dann sind wir schon zu dritt und mischen die Schule auf.“ Erstaunt starrte sie auf den Eingang zum Gemeinschaftsraum. Schon hier?! Vorhin hatte sie Stunden gebraucht um von hier zur Bibliothek zu finden. „Wenn ich nicht wüsste, dass das doof klingt, würde ich behaupten, du seist ein Magier.“, kicherte sie dümmlich, fing sich aber sehr schnell wieder.
„Nein, ohne meine Tasche fühle ich mich ein bisschen nackt, und sie ist federleicht. Also bin ich für alle Arten von Geheimwegen zu haben.“ Dennoch lies sie kurz seinen Arm los, um sich das Tuch in den Haaren noch einmal ordentlich hinzuzupfen. „Also dann, auf zu deinen Expertenwegen, Raphael-Kun.“ Erneut hakte sie sich bei ihm ein und lächelte ihn an, um zu zeigen, dass sie bereit war weiter zu gehen. „Wo geht es denn hin? Wieder zur Bibliothek? Oder zur Großen Halle? Ach nein, die Unterrichtsräume meintest du, oder? Gibt es im Schloss sonst noch sehenswerte Orte? Frage ich dich zu viel?“

Raphael musste dringend wieder mit Sport anfangen. Die letzten Tage hatte er es irgendwie nicht geschafft. So viel Neues auf einmal verkraftete ein kleiner Werwolf wie er nicht immer so leicht. Die ganzen Gerüche hatten ihn etwas geschwächt und aus der Bahn geworfen. Dazu noch die sommerliche Hitze, die er einfach nicht leiden konnte. Abends laufen ging nicht, da war es noch zu warm. Und morgens wollte er eigentlich schlafen...
War das wirklich so leicht, neue Freunde zu gewinnen? Irgendwie konnte er es nicht glauben, dass er jetzt mit diesem umwerfenden Mädchen befreundet sein sollte. Sie war so hübsch und so süß und er war einfach ein... Troll oder so etwas. Im Vergleich zu ihr. Er sah das tolle Mädchen an und fühlte wieder dieses Ziehen im Magen. Ihr Mats vorstellen? Die beiden könnten eigentlich sehr gut zusammenpassen. Und bei Mats hätte er auch nicht das Problem, dass die beiden irgendwann verliebt durch die Schule hüpften. Dann würde er einen von beiden beißen müssen.
„Gut“, sagte er und betrachtete kurz das Mysterium der Frauenhandtaschen. Dann dümpelte langsam das Wort „nackt“ in sein Gehirn und beinahe hätte er gesagt, dass es kein Problem wäre, sie solle ruhig die Tasche ablegen. Er wurde rot und wandte sich schnell ab, tat so, als würde er in seiner eigenen Tasche etwas neu anordnen. Tara nackt war wirklich nichts, woran er denken wollte. Dann hakte sich Tara schon wieder bei ihm ein. Himmel, dieses Mädchen löste noch einen Herzinfarkt bei ihm aus!
„Erst einmal den schnelleren Weg in den vierten Stock zum Unterricht. Dann kann ich dir gern noch mal die Große Halle zeigen. Oder die Küchen? Die Hauselfen da sind sehr lieb und man kriegt fast immer etwas zu essen, wenn man es möchte. Sehenswert ist vielleicht einer der Türme weil man von da das Gelände überblicken kann. Und der See. Und der Raum der Wünsche.“ Bei dem letzten Satz wurde er wieder rot, denn er wusste genau, wofür alle diesen Raum benutzten. Auch wenn er selbst noch nie mit Begleitung hinein gegangen war. „Du fragst nicht zu viel“, murmelte er mit einem kleinen Lächeln und sah sie wieder direkt an. „Ich find das eigentlich ganz liebenswert.“ Er führte sie einen Weg entlang, der die bewegenden Treppen einfach umging und deutete dann auf ein Stück Wand. Das Stück Wand war eigentlich ein Vorhang, der sich perfekt tarnen konnte und er hielt den Stoff auf, um Tara hindurch zu führen. „Da ist eine Treppe, die eher versteckt ist. Und die führt in den vierten Stock.“ Lächelnd sah er Tara an. „Also, danach essen oder den vielseitigsten Raum der Schule? Oder lieber Aussicht?“

Hatte sie schon wieder etwas angestellt? Irritiert blickte Tara den rot gewordenen Jungen an. Aber nein, da hatte er sich schon abgewandt. Ob sie etwas an der Nase hatte, und er sich nicht traute es ihr zu sagen? Tara hob ihre Finger und wischte sich über die Gesichtsmitte. Nein, fühlen konnte sie dort nichts.Nun gut, solange er ihr das nicht sagen wollte, konnte sie auch gegen den schlimmsten Pickel auf ihrer Stirn nichts unternehmen.
„Deine Vorschläge klingen alle unglaublich klasse.“, gab Tara zu und überlegte, während Raphael schon weitersprach. „Liebenswert?“ Sie wiederholte das Wort langsam und musste in ihren angestaubten Englisch-Wortschatz erst einmal nach der japanischen Entsprechung für dieses Wort suchen. „Ah... ich glaube... dann ist ja gut.“ Liebenswert. So hatte sie noch niemand genannt. Schon gar nicht ihre Neugierde. Neugierig, WEN sie sich da gerade als Freund ausgesucht hatte, betrachtete sie den Jungen, der nun wieder daran war, sie durch das Schloss zu führen von der Seite. So sehr war sie ins beobachten vertieft, dass sie gar nicht realisiert hatte, dass er vor einer Wand stehen geblieben war und sie zur Seite geschoben hatte. Dem entsprechend groß waren die Augen der Wahljapanerin, als sie den Durchgang in der Wand anstarrte. „Wow..“, flüsterte sie. „Darauf wäre ich von alleine niemals gekommen. Danke Raphael-Kun.“ Sie löste sich ein bisschen von seinem Arm, um ihn einen Kuss auf die Wange zu drücken. „Der vielseitigste Raum der Schule klingt interessanter, als die Aussicht.“, gab sie zu, während sie in den Gang hinter der Wand trat. „Wie zeigt sich seine vielfältigkeit denn?“

Sie war niedlich überrascht von dem Durchgang. Raphael hatte ihn auch erst dadurch gefunden, dass ein paar ältere Schüler sich mal hindurch gemogelt hatten. Danach hatte er selbst mal probiert, sich dadurch zu mogeln und siehe da, es hatte geklappt. Seine Nase führte ihn auch manchmal durch das Schloss. Immerhin roch er Parfum auch gegen den Wind. Dadurch fand man schon mal den einen oder anderen Weg, den man vorher noch nicht gekannt hatte.
Dass sie sich für so eine kleine Sache bei ihm bedankte ließ seine Brust anschwellen und er sah sie mit einem Hauch von Stolz an. Sie löste sich von ihm und er sah sie irritiert an.
Oh. Wow.
Wieder wurde sein Gesicht warm. Dann sein Bauch. Und seine Hände. Er vergaß zu atmen und konnte die rothaarige Ravenclaw nur mit großen Augen anstarren. Dann hob er langsam eine Hand an die Wange und fuhr sich über die Stelle, die sie geküsst hatte.
Sag was, du Idiot. Nicht gut gucken. Er blinzelte und brabbelte dann ein „Danke“ hervor. Die beste Antwort des Jahres und es war ihm so verdammt peinlich, dass er wieder rot wurde. Sie trat in den Geheimgang und Raphael stand da, als hätte er den Lähmfluch abbekommen.
„Tut mir Leid“, nuschelte er dann und führte sie die Treppe hinunter. „Ich bin nicht gewöhnt, dass hübsche Mädchen... na ja...“ Er schwieg bis sie das Ende der Treppe und den vierten Stock erreicht hatten. Dann fiel ihm ein, dass sie ja eine Frage gestellt hatte und er sah sie wieder an. „Vielseitig weil er genau das ist, was du willst, dass er ist.“ Er blieb im Korridor mit den Klassenräumen stehen und erklärte. „Der Raum der Wünsche formt sich nach deinem Willen. Er kann alles werden. Ein Schlafzimmer. Dein Schlafzimmer, wenn du willst. Ein Badezimmer, ein Trainingsraum... einfach alles, was du haben möchtest. Während des Krieges der Zauberer vor einigen Jahren diente er als Versteck für die Rebellen im Schloss.“ Raphael war es jetzt, der vorsichtig ihren Arm nahm und sie in Richtung des Raumes der Wünsche führte. „Hattet ihr an eurer Schule etwas ähnliches? Und hast du Ideen, was du dir gleich wünschen willst. Weil ich finde, du musst das mit eigenen Augen sehen, was der Raum aus deinen Wünschen macht.“ Raphaels Herz schlug etwas schneller und ein Teil von ihm hielt es für toll zu sagen: „Die meisten Schüler nutzen den Raum für ihre Dates und für Sex.“

Danke? Fragend warf Tara, die schon dabei war die Treppe nach unten zu erklimmen, als sei nichts gewesen, einen Blick hinter sich. Wofür bedankte er sich denn jetzt? Sah er etwas, dass er nicht sehen sollte? Hatte sie etwas in sein Gesicht geschmiert? Nein, er stand immer noch da, wo sie ihn eben gelassen hatte und war irgendwie rot angelaufen. Und dann folgte er ihr und redete etwas über hübsche Mädchen. Jetzt war Tara wirklich verwirrt. Was meinte er damit? Hatte sie etwas falsch gemacht? Hatte er vielleicht auf jemanden anderen... Oh Gott, er hatte ein Date in der Bibliothek gehabt und sie hatte ihn total davon abgelenkt und er war zu nett um ihr zu sagen, dass sie ihn nur nervte! Scheiße. Tara senkte den Blick auf die Treppenstufen, die leider schon viel zu bald endeten.
Immerhin hatte er seine Stimme wiedergefunden und redete jetzt über den vielseitigen Raum. Tara warf kurz einen Blick in den Korridor, in dem sie jetzt stehen geblieben waren. Dann waren das hier also die Klassenzimmer. Okay, merken!
Da griff er auch schon vorsichtig nach ihrem Arm, ohne dass sie etwas sagen konnte – eigentlich hatte sie sich ja entschuldigen wollen – und führte sie weiter durch den Schloss, während ihr Kopf Achterbahn fuhr. „Das... dieser Raum klingt total interessant.“, gab sie schließlich zu und lächelte den Jungen vorsichtig an. „Und … ich denke, ich wüsste auch schon, was ich haben wollen würde..“ Da war es wieder. Das Wort Dates. Unwillkürlich machte Tara sich von dem Jungen los und sah ihn Bittend an. „Hör mal, Raphael, ich finde es total nett, dass du mich herum führst und mir alles zeigen willst. Aber du musst doch wegen mit nicht einfach irgendein hübsches Mädchen sitzen lassen. Das wäre doch absolut nicht fair ihr gegenüber. Ich meine... ich habe mich bisher auch irgendwie zurecht gefunden. Und durch dich kenne ich jetzt ein bisschen mehr vom Schloss. Und wenn du los musst, dann solltest du gehen. Wirklich, ich werde dir das auch versprochen nicht übel nehmen und wir suchen uns irgendeine Zeit aus, bei der du nicht so beschäftigt bist, hai?“ Irgendwie war ihr das wirklich unangenehm.

Mädchen. Mädchen waren seltsam. Er fühlte sich bei ihnen einfach nicht wohl. Sie machten ihn nervös und oft waren sie auch einfach nicht nett, sodass er sich noch mehr wie ein Freak vorkam als sonst. Früher, bevor er nach Hogwarts gekommen war, waren es die Mädchen gewesen, die ihn am meisten gehänselt hatten. Und hier in der Schule gingen sie ihm aus dem Weg. Groß fertiggemacht wurde er nicht. Allerdings hielt er sich auch von fast allen Leuten fern. 5 Jahre hatte er ohne großartige Kommunikation geschafft. Dann war Mats aufgetaucht.
Mädchen hatte er nicht in seiner fiktiven Freundesliste. Jetzt hatte er eines neben sich und sollte sich mit diesem unterhalten. Vermutlich nett sein. Freundlich. Er war ja schon bei normalen Mädchen hypernervös und jetzt hatte er dieses niedliche Exemplar neben sich. Sein Magen rumorte in einer Tour und seine Hände waren bestimmt so nass, als hätte er sich gerade die Hände gewaschen. Schrecklich.
Tara löste sich von ihm und Raphael starrte sie mit großen Augen an. Was? Wie? Hübsche... Hä? Panisch sah er die Rothaarige an. Er musste los? Warum wusste er das nicht? Hatte er da etwas vergessen? Wusste sie etwas, was er nicht wusste? „Ich bin beschäftigt?“, fragte er. Seine Stimme klang so piepsig. „Ich war doch nur lesen... Warum sollte ich gehen wollen?“ Völlig verwirrt sah er seine Begleitung an, verstand absolut nicht, wieso er gehen sollte um... was hatte sie gesagt. „Hä?“

Mit einem Mal kam Tara sich wirklich doof vor. Nein Schlimmer. Dumm Absolut behämmert. Hatte sie das wirklich gesagt? Am Ende hatte sie Raphael einfach falsch verstanden. Oder... nein, sie durfte sich doch nicht von Vorurteilen quälen lassen. Nur weil er aussah wie ein schüchterner tentorimushi der keine Frau abbekam hieß das ja noch lange nicht, dass er einer war. Zumindest hatte sie das.. ach scheiße, ihre Gedanken machten ihren ganzen Kopf kaputt.
Und anscheinend auch den seinen. Er sah sie so verzweifelt an, dass Tara gar nicht wusste, wie sie am besten antworten sollte. Nervös knabberte sie an ihrem Mundpiercing herum. Eine Antwort finden, das war das Gebot der Stunde.
„Ich... kuso.... du … hattest irgendetwas, von hübschen Frauen geredet, und ich habe nicht alles mitbekommen, und ich meine, ich hatte angenommen dass du eigentlich ein Date in der Bibliothek hattest und mir das nicht sagen wolltest, weil du zu lieb bist oder so etwas und deswegen...“ Sie schaffte es nicht mehr ihm in die Augen zu schauen und blickte betreten zu Boden. „Gomen nasai, Raphael-kun. Ich wollte dich nicht kränken.“ Verdammt, sie war doch zu nichts zu gebrauchen.

Warum waren Menschen so kompliziert? Da waren so viele Dinge, die man in einem Gespräch beachten musste. Tonfall, Wortwahl. Ein falscher Schritt und man landete im Abgrund, wurde blöd angeguckt, vielleicht machte man dadurch sogar eine Freundschaft kaputt. Man sollte immer ehrlich sein, aber nur in bestimmten Grenzen. Man sollte nicht beleidigend sein, durfte das aber trotzdem unter bestimmten Voraussetzungen. Er verstand es einfach nicht.
Zwischenmenschliches war für ihn ein riesiges Fragezeichen.
In etwa so riesig, wie das Fragezeichen, das ihm ins Gesicht geschrieben stand. Tara verwirrte ihn so stark, wie er es noch nie gefühlt hatte. Und jetzt sah sie ebenso durch den Wind aus wie er. Sie knabberte an ihrem Piercing und roch irgendwie... schuldbewusst?
„D...date?“, stammelte er. Er? Ein Date? Er unterdrückte ein Lachen, aber ein ersticktes Kichern kam trotzdem aus seiner Kehle. „Ich hatte noch nie in meinem Leben ein Date.“ Völlig verblüfft starrte er sie an und ehe er seinen Mund daran hindern konnte, hörte er sich sagen: „Und mit dem hübschen Mädchen habe ich doch dich gemeint.“
Ach du heiliger Hippogreif. Hitze durchflutete ihn und er schloss die Augen, senkte den Kopf. Wieso konnte er nicht unsichtbar werden? „Tut mir Leid“, nuschelte er und fühlte einen Kloß in seinem Hals. Oh nein, er würde nicht in Tränen ausbrechen. Er hatte nicht mehr geweint, seit seine Mutter gegangen war. Er würde jetzt nicht damit anfangen, nur weil er das hübscheste Mädchen der Schule vergrault hatte. „Ich... Na ja, ich hätte dir gern den Raum der Wünsche gezeigt, aber ich kann verstehen, wenn du nicht mehr willst...“ Es musste schlimm sein, von einem Jungen wie ihm gemocht zu werden.

[Kacke. Ich kann den Beitrag ja leider nicht löschen y_y Tut mir Leid, ich bin doof. Stell dir vor, das hätte Rapha gepostet x) ]

Eben noch war ihre Laune super gewesen. Ein bisschen Kopfschmerzen, ja. Aber nichts weltbewegendes. Halt das, was man bekam, wenn man einen gesamten Tag lang versuchte unverständliches, fremdsprachiges Kauderwelsch in sich hinein zu quetschen. Aber nun hatte sie ja Raphael da und damit jemanden zum reden. Und er wollte ihr das Schloss zeigen, Himmel noch einmal. Wie konnte sie nur so dumm sein, und alles total kaputt zu machen?
Vollkommen erstaunt riss sie die Augen auf. Noch... „Noch nie? Verstehe .. ich meine... du hast dich noch nie in deinem leben mit einem Mädchen getroffen? Etwas unternommen?“ Wow. Irgendwie hatte er zuvor schon erwähnt, dass er eher ein Einzelgänger war, aber irgendwie hatte Tara ihm nicht wirklich geglaubt. Aber was danach kam war noch viel schlimmer. Hübsch? Er... nannte sie hübsch? Wahnsinn. Irgendwie seltsam. Sie fühlte sich seltsam, irgendwie leicht und flauschig, während ihr Herz viel zu schnell schlug und ihre Beine einknicken wollten. Nein, bitte nicht!
Sie schluckte und wusste nicht so genau, was sie sagen sollte. „G...Gomen nasai“, war das einzige, was nach einem Schockmoment aus ihrem Mund gekrochen kam. „Das hat noch nie jemand zu mir gesagt.“ Wahrscheinlich war sie rot geworden. Viel zu rot. Unheimlich klaschrot. Und zwar nicht an den Haaren. Eher im Gesicht. Wie penlich.
Dennoch verwirrten sie seine nächsten Worte. „Wieso sollte ich nicht mehr wollen? Der Raum klingt unheimlich spannend und alleine finde ich ihn bestimmt nicht und...“, ihr ging auf, was er über den Raum erzählt hatte. Dates und Sex? Aber das würde er hoffentlich nicht von ihr … nein, sie kannten sich ja kaum. Tara klopfte das Herz bis zum Hals und sie konnte nur hoffen, dass sie nichts falsches tat. „Ich würde mich wirklich freuen, wenn du ihn mir zeigen könntest. Bitte?“