Damien sah die Anspannung im Gesicht seiner Schwester und Besorgnis machte sich in seiner Brust breit. Er umschlang Jades Hand mit seiner und drückte sie beruhigend, warf ihr einen kurzen Blick zu und lächelte matt, ehe er sich wieder seiner Schwester zuwandte. "Hallo, Jade", wandte diese sich an die Freundin ihres Bruders und rang sich ebenfalls zu einem kleinen Lächeln durch. "Wir haben deine Tante, deine Mutter und deine Schwester im Haus deiner Tante gefunden, sie befinden sich jetzt hier bei uns auf dem Anwesen und meine Mutter kümmert sich um sie", begann die Herzogstochter vorsichtig und warf Damien einen kurzen Blick zu, der das Unbehagen seiner Schwester spürte. Unwillkürlich schlang er seine Arme um Jade und zog sie enger an sich. "Dein Vater allerdings..." Bridget atmete hörbar aus. "Es tut mir Leid, Jade. Wirklich sehr leid."

Jades Herz schien unregelmäßig in ihrer Brust zu klopfen. Ihre Tante, ihre Mutter, ihre Schwester. Nicht ihren Vater. Jade schluckte, aber sie schaffte es nicht, ihren Mund zu öffnen, und nach ihrem Vater zu fragen. Sie hätte keinen Ton herausbekommen.
Sie bemerkte kaum, wie Damien sie näher zog, und nahm Bridgets letzte Worte nur noch gedämpft war. Aber leider hörte sie sie doch. "Er ist ..." Jade stockte. Sie bekam die Worte nicht heraus. Ihre Sicht auf Bridgets Kopf im Kamin verschwamm und sie schloss die Augen, ohne die Tränen zu beachten, die über ihre Wangen liefen. Vor ihrem inneren Auge sah sie das Bild ihres Vaters, wie er lachend am Tisch saß und ihre Mutter spielerisch aufzog. Und das sollte sie nie mehr miterleben? Jade biss auf ihre Unterlippe, um nicht zu schluchzen, und vergrub ihren Kopf an Damiens Schulter.

Damiens Herz zog sich schmerzhaft zusammen, als er Jade so weinend in seinen Armen liegen hatte und setzte sich ganz auf den Kaminvorleger, hielt sie einfach fest in seinen Armen und strich ihr über den Rücken, ließ sie weinen, da er keine Ahnung hatte, was er sagen sollte. Er warf über den Kopf seiner Freundin hinweg noch einen kurzen Blick zu seiner Schwester, die ihm nur matt zulächelte. "Es tut mir Leid", wiederholte sie mitfühlend. "Ich werde Mum helfen gehen. Meld dich, wenn etwas ist", bat sie ihren Bruder. Damien nickte. "Ihr euch auch." Auch Bridget nickte, dann verschwand ihr Abbild aus dem Feuer.

Nicht ihr Vater. Warum ausgerechnet ihr Vater? Jade hatte gewusst, dass er als Journalist unbedingt hatte berichten wollen und deshalb schon als sie noch da gewesen war, das Heim ihrer Tante ab und an verlassen hatte. Aber sie hatte nie ernsthaft erwartet, dass es ihn treffen würde. Ihr Vater war die Person in der Familie, die immer alles wieder ins Lot gerückt hatte. Egal ob sie sich verletzt, Streit mit Amber gehabt oder mit ihrer Mutter gestritten hatte, ihr Vater war immer dagewesen und hatte sie wieder zum Lächeln gebracht. Sie konnte sich nicht vorstellen, ausgerechnet diese Person nicht mehr um sich zu haben. Von Bridgets Verschwinden bekam Jade nichts mit. Sie klammerte sich an Damien und wimmerte leise, die Lippen immer noch zusammengepresst, weil sie es nicht wagte, ihren Mund zu öffnen.

Erneut krampfte sich Damiens Herz zusammen, als er ihr Wimmern vernahm. Er wusste nicht genau, was er eigentlich hier tun sollte. Weinende Mädchen waren absolut nicht seine Stärke. Doch Jade bedeutete ihm soviel... Er drückte ihr einen Kuss aufs Haar, hielt sie fest in seinen Armen, während er über ihren Rücken streichelte und versuchte, einfach nur für sie da zu sein. Gleichzeitig hatte er das Gefühl, dass er ohnehin nicht mehr tun konnte.

Jade spürte Damiens Streicheleinheiten kaum. Sie war viel zu sehr mit ihren eigenen Gedanken und dem Schmerz beschäftigt, den sie fast körperlich zu fühlen glaubte. Trotzdem schmiegte sie sich instinktiv näher an ihn, als sie schließlich Luft holen musste und dabei schluchzte. Tränen liefen über ihre Wangen, aber sie kümmerte sich nicht darum. All die Lügen ihrer Tante ... Warum hatte es ihr keiner gesagt? "Damien", wimmerte sie leise und verstärkte ihren Griff um ihn.

"Ich bin da", versicherte er ihr und hielt sie so fest es ging in seinen Armen. Er wünschte, er könnte ihr mehr helfen...er fühlte sich so hilflos dabei. "Ich bin da", murmelte er erneut und küsste sie sanft aufs Haar. Aber er war sich mehr als bewusst, dass er diesen Verlust nicht ausfüllen konnte...niemand konnte das. Aber vielleicht konnte ihr Aiden helfen, besser mit ihrer Trauer umzugehen. Der Diplomatensohn war vermutlich begabter im Trösten als er selbst...und er war Jades bester Freund. Damiens Gedanken drehten sich im Kreis und immer weiter nur um Jade herum. Er wollte ihr so gern helfen.

Jade konnte nicht einmal genau wahrnehmen, was Damien sagte, aber für den Moment war sie einfach nur froh, seine Stimme zu hören. Sie kuschelte sich näher an ihn, bis sie auf seinem Schoß saß. Als Kind hatte ihr Vater sie genau so getröstet und obwohl der Gedanke frische Tränen brachte, tat es gleichzeitig gut zu wissen, dass sie nicht allein war. Dass da immer noch jemand war, der sie einfach in den Arm nehmen und trösten würde. Vor einem Jahr wäre ihr Vater neben Mara vielleicht die einzige Person gewesen, die das vorbehaltslos getan hätte. Jetzt waren da noch Damien und Aiden. Trotzdem schluchzte Jade einige Minuten an Damiens Schulter, ohne die Tränen stoppen zu können, ehe sie sich zwingen konnte, sich ein bisschen zu beruhigen. Ihr Gesicht hielt sie trotzdem an Damiens Schulter verborgen. Inzwischen fühlte sie dumpfe Schmerzen in ihrem Kopf und ihr Körper schien unglaublich kraftlos zu sein, aber darum kümmerte Jade sich nicht weiter. Gerade war es ihr einfach egal.

Er fühlte sich so furchtbar hilflos. Er hatte keine Ahnung, was er sagen oder tun konnte, damit ihre Tränen trockneten... "Ich bin da", wiederholte er nur leise und streckte seine Beine aus, um sie auf seinem Schoß besser festhalten zu können, als sie darauf kletterte. Ihm war es egal, dass sie sein Hemd nass weinte und er würde bei ihr sein, solange sie ihn bei sich haben wollte und solange sie ihn brauchte, so gut er konnte. Es war vermutlich das Einzige, was er tun konnte.

Jade hatte ihre Augen immer noch geschlossen, aber sie versuchte, den Gedanken an ihren Vater fürs erste zu verdrängen. Sie wollte nicht noch mehr weinen. Das hatte sie in letzter Zeit so oft getan, dass die Kopfschmerzen, die sie jetzt hatte, ihr fast schon vertraut vorkamen. Als sie Damiens Stimme hörte, hob sie den Kopf und schaute zu ihrem Freund auf. "Danke." Jades Stimme klang brüchig und sie räusperte sich, in der Hoffnung wieder ein bisschen mehr wie sie selbst zu klingen. "Ich ... "

"Nichts zu danken, Süße. Ich werde immer für dich da sein", versprach er und küsste sanft ihre Stirn, als sie zu ihm aufsah. Er streichelte weiterhin sanft über ihren Rücken und hielt sie fest in seinen Armen, egal, wie hilflos er sich auch fühlen mochte. Jetzt konnte er allerdings nur schlecht weiterhin sagen, dass alles gut werden würde...er konnte sich ihren Schmerz kaum vorstellen, hatte er doch nie so etwas empfinden müssen,

Jade brachte ein dünnes Lächeln zustande. "Danke", murmelte sie und schmiegte sich dann wieder an Damien. Ein paar vereinzelte Tränen fanden den Weg über ihre Wangen, aber Jade bemühte sich, nicht mehr an ihren Vater zu denken. Zumindest für den Moment nicht. Jetzt wollte sie sich einfach nur genug beruhigen, um ihrem schmerzenden Kopf eine Chance zu geben, sich zu beruhigen. "Ich ... können wir uns hinlegen?", bat sie Damien leise, rührte sich aber selbst nicht vom Fleck, weil ihre Muskeln sich nicht anfühlten, als würden sie sie noch irgendwohin tragen wollen?

"Kein Problem", erwiderte er warm und strich sanft die Tränen von ihren Wangen. Auf ihre Bitte hin nickte er hastig und warf einen Blick zu dem Sofa hinüber, das sich auf seinen Wunsch in ein Bett manifestierte, ehe er seinen Arm vorsichtig unter Jades Kniekehlen schob und den anderen nutzte, um ihren Oberkörper zu stützen. Dann hob er sie von seinem Schoß und balancierte sie in seinen Armen, während er etwas holprig auf die Beine kam und sie danach den kurzen Weg zum Bett hinüber trug. Er legte sie sanft ab, krabbelte dann zu ihr aufs Bett und breitete seine Arme aus, um ihr anzubieten, sich wieder an ihn schmiegen zu dürfen.

Jade wollte protestieren. Sie war zwar dünn, aber genauso groß wie Damien und damit bestimmt nicht leicht für ihn zu tragen. Aber er hatte sie schon hochgehoben und trug sie zum Sofa, das jetzt ein Bett war. Also ließ sie sich ohne Widerstand auf die Laken legen und drehte sich sofort zu ihrem Freund, dessen Einladung sie nur zu gern annahm. Jade rutschte zu Damien und legte ihren Arm um ihn. Jetzt erinnerte sie die Umarmung an die Osterferien, in denen sie in Damiens Bett geschlafen hatte. Es war eine angenehmere Erinnerung als die an ihren Vater und Jade seufzte erleichtert. Sie vergub ihr Gesicht an Damiens Brust und atmete tief seinen Geruch ein. "Den anderen wird bei deiner Familie nichts passieren, oder?", fragte sie leise.

Irgendwann würde er sie leichter hochheben können müssen beschloss er nachdenklich, doch gerade zählte einfach nur, dass sie sich einigermaßen beruhigen konnte. Er schloss sie fest in seine Arme, als sie sich wieder an ihn schmiegte und küsste sie sanft aufs Haar, als sie ihr Gesicht an seiner Brust vergrub, nahm seine Streicheleinheiten an ihrem Rücken wieder auf, ehe er antwortete. "Das Lancasteranwesen ist eines der bestgeschützten von ganz Schottland, dafür hat mein Vater gesorgt. Sie sind in Sicherheit", versprach der Sechzehnjährige beruhigend.