Joyce' Augenbrauen schossen endgültig in die Höhe. "Ich verwirre dich? Kann gar nicht sein, schließlich widerspreche ich mir nicht die ganze Zeit selbst", konterte sie und trat letztendlich wieder ein paar Schritte auf ihn zu, reagierte endlich auf seine Bitte. Gleichzeitig fragte sie sich aber auch, warum es ihn überhaupt interessierte, ob sie sich verletzte oder nicht, schließlich reagierte er die ganze Zeit nur abweisend, egal was sie sagte oder tat.

"Nein, aber du versuchst aus unerfindlichen Gründen die ganze Zeit mit mir zu reden", stellte Nathaniel resigniert fest. Frustriert strich er mit einer Hand durch seine Haare, bemerkte aber erleichtert, dass Joyce ein bisschen von der Weide weggegangen war. "Außerdem finde ich mich gar nicht so widersprüchlich oder haben wir neuerdings Poesiealben und Freundschaftsarmbänder getauscht?" Nathaniel klappte sein Buch wieder auf, behielt seinen Blick aber vorerst auf das Mädchen gerichtet, das nicht weit von ihm entfernt stand.

"Weil ich mich erstens nicht gern vor den Kopf stoßen lasse, zweitens, weil es dann immer noch leichter ist, dich in Hogwarts zu integrieren...und drittens, wenn du mich gerade nicht vor den Kopf stößt, sondern deine widersprüchliche Seite zeigst, kannst du sogar nett sein", erklärte sie und ging weiter auf ihn zu. "Und doch, du bist widersprüchlich, denn auf der einen Seite suchst du Distanz, während du auf der anderen Seite trotzdem reden zu wollen scheinst", konterte sie sachlich.

Nathaniels Augenbrauen wanderten in die Höhe. Wann genau war er denn mal nett gewesen? Gerade wollte er genau das nachfragen, als Joyce behauptete, dass er doch reden wollen würde. Sofort wurde sein Gesichtsausdruck undurchdringlich und er schüttelte den Kopf. "Nur weil ich deiner Einladung gefolgt bin, heißt das nicht, dass ich reden will", stellte er klar und ob demonstrativ sein Buch, um sich wieder auf die Zeilen zu konzentrieren. Das gelang ihm noch nicht so wirklich, aber wenigstens schaute er jetzt etwas anderes an, als das verwirrende, hübsche Mädchen vor ihm.

"Aber gleichzeitig verzichtest du damit auf die Distanz. Und gerade da bist du widersprüchlich", gab Joyce zurück und ließ sich wieder ins Gras fallen, legte sich auf den Rücken und verschränkte ihre Arme hinter ihrem Kopf. Dieser Typ neben ihr war so verdammt merkwürdig. Joyce nahm eine Hand wieder hinter ihrem Kopf weg und verschob das Piercing leicht, damit es nicht mehr so hell glitzerte und sie nicht blenden konnte, ehe sie wieder die Augen schloss und erneut ihre zweite Hand unter ihren Kopf schob.

"Entschuldige, dass ich mich anderen Menschen nähere. An einem Internat wie diesem ist das leider schwer zu vermeiden." Nathaniel bemerkte, dass Joyce sich wieder neben ihn legte, versuchte aber, sich wieder auf das Buch zu konzentrieren. Sein Blick huschte allerdings ungewollt wieder zu ihr, als sie gerade ihr Bauchnabelpiercing zurechtschob. Dann lag sie wieder entspannt und mit geschlossenen Augen da und genoss die Sonne. Seine Mutter hatte er nie so erlebt. Sie hatte immer einen nervösen und unruhigen Eindruck gemacht. Das Los eines Menschen, der sich mit seiner Familie einließ. Nathaniel presste die Lippen zusammen und wandte den Blick wieder von Joyce ab. Hoffentlich fand er seine Antwort endlich in den Büchern. Dann müsste er sich keine Sorgen mehr machen und könnte mit den Menschen, die ihn ansprachen, ohne Vorsicht reden und lachen. Er stellte es sich schön vor, wenn er sich einfach neben Joyce legen und sie über Hogwarts ausfragen könnte.

Sie seufzte leise, ohne ihre Augen zu öffnen. "Genau das ist es ja. Du musst dich dafür nicht entschuldigen, gerade das wäre ein vollkommen normales Vorgehen. Dass du dann aber dennoch wieder versuchst, dich noch während du redest von anderen abzuschotten, macht dich so widersprüchlich und so verwirrend für mich", erklärte sie ihm, was sie dachte, sah ihn dabei aber immer noch nicht an, sondern hielt ihre Augen geschlossen und ihr Gesicht der Sonne entgegen.

Um Nathaniels Mundwinkel zuckte es. Er sollte an seinem ironischen Tonfall arbeiten. Ganz dringend.
"Vielleicht kann ich einfach nicht mit Menschen umgehen und halte mich deshalb von ihnen fern?", schlug er vor, ohne von seinem Buch aufzusehen. Hier wurde gerade von einem Geisterkniesel berichtet, der das Haus seiner früheren Besitzerin nicht verlassen hatte, bis auch sie verstorben war. Dann wurde das durchscheinende Tierchen allerdings nicht mehr gesehen. Zu schade, Denisa hatte sich vom Tod Cosmins nicht beeindrucken lassen.
"Außerdem bist du mindestens genauso verwirrend." Und warum genau sprach er eigentlich noch mit ihr?

"Das könnte in einem Internat auch schwierig werden", ihr Mundwinkel zuckte. "Außerdem, den Umgang mit Menschen kann man erlernen. Noch immer versteckte sie die eichenblattgrünen Augen hinter ihren geschlossenen Lidern und genoss die Wärme der Sonne auf ihrer Haut. Seine letzte Bemerkung ließ sie allerdings die Stirn runzeln. "Warum bin ich verwirrend?", hakte sie erneut nach. Sie legte ihre Absichten doch offen dar, wo sollte da der Fehler sein?

"An den Punkt waren wir schonmal." Nathaniel beendete das Kapitel über den Geisterkniesel und rieb mit einer Hand kurz über seine Augen. Am liebsten hätte er sich auch ins Gras fallen lassen. Stattdessen schaute er nur sehnsüchtig zu den schattenspendenden, nicht ausschlagenden Bäumen in der Nähe. Warum ging er eigentlich nicht? Er wäre aus der Hitze raus und Joyce gleichzeitig los.
"Weil du nicht einfach akzeptierst, dass es sinnlos ist, mit mir reden zu wollen", antwortete er stattdessen auf ihre Frage und schloss sein Buch mit einem vernehmbaren Klappen.

"Ich weiß", erwiderte sie gelassen und stützte sich wieder auf den Ellbogen auf, öffnete ihre Augen und drehte ihren Kopf dem Jungen neben sich zu. "Und warum sollte es sinnlos sein, mit dir zu reden? Ich bekomme es doch immerhin hin, dass du überhaupt den Mund aufmachst", sie grinste keck und warf dann ihr Haar über die Schulter nach hinten, damit es sie nicht im Gesicht kitzelte. "Ich verstehe dich zwar nicht, aber das heißt ja auch nicht, dass ich es nicht lernen kann, mit dir umzugehen, wenn du es lernen kannst, mit anderen Menschen umzugehen."

"Um mit mir über das immer gleiche Thema diskutieren? Na das muss ja Spaß machen." Seine Stimme klang eher belustigt als ironisch, was Nathaniel selbst ein wenig ärgerte. "Ich könnte zum Beispiel schwören, dass ich schon erwähnt habe, dass ich kein Interesse habe, viel mit anderen Menschen zu tun zu haben." Zumindest hatte er kein Interesse daran, die Konsequenzen dafür zu tragen. Nathaniel schaute zu dem zweiten Buch, das er mitgebracht hatte, und dass sich mit Beschwörungsformeln zum Austreiben von Geistern beschäftigte. Ob er es mal mit dem versuchen sollte?

Joyce zuckte nur mit den Schultern. Ihr war es selbst ja auch ein bisschen schleierhaft, warum sie ihn unbedingt aus der Reserve locken wollte. "Du hast aber noch nicht erwähnt, warum das so ist. Dass Einsamkeit glücklich machen soll, nehme ich dir nämlich noch immer nicht ab", stellte sie ungerührt fest und zog fragend eine Augenbraue hoch, wartete auf seine Erwiderung und bemerkte seinen Blick auf das Buch. Sie warf einen Blick auf den Titel und ihre Stirn runzelte sich. "Interessant, womit du dich so beschäftigst", murmelte sie.

"Ich habe nicht das geringste Interesse daran, über dieses Thema zu reden", blockte Nathaniel mit einem entschiedenen Unterton ab. Es war für Joyce besser, wenn sie nichts wusste. Nathaniel war nicht stolz auf seine Familie. Sein Großvater Rasvan war da vielleicht die große Ausnahme, aber seine restlichen Ahnen aus der Blutlinie Radu ...
Joyce hatte seine Lektüre bemerkt, aber er war sich nicht ganz sicher, welches der beiden Bücher. "Mhm, ich interessiere mich für Geister", erklärte er unverbindlich. "Und Großbritannien hat eine recht interessante Geschichte, was das angeht."

"Aber...warum?" Ihre Stimme war leise, sie war sich nicht sicher, ob sie tatsächlich von ihm gehört werden wollte. Was sie auch dazu brachte, sich wieder auf ihre Manieren zu besinnen. "Verzeih, ich sollte dich nicht fragen, wenn du partout nicht darüber reden willst. Es ist deine Sache", murmelte sie entschuldigend und drehte sich wieder zurück auf den Rücken, blieb aber auf ihre Ellbogen aufgestützt, hielt den Blick auf die Peitschende Weide gerichtet.
Sie konzentrierte sich auf das eigentliche Thema, das. über das er zumindest ansatzweise mit ihr redete. "Wenn du dich für Geister interessierst, dann kann ich dich gern mal Sir Nicholas vorstellen, vielleicht kann er dir ja weiterhelfen, bei was auch immer du suchst."