Nathaniel runzelte die Stirn und schaute Joyce nachdenklich an. Ein kleiner Teil von ihm hätte es ihr gern erzählt. Aber das barg zuviele Gefahren. Am Ende hielt sie ihn noch für verrückt. "Das ist Privatsache", sagte er, klang jetzt aber sanfter.
Und immer noch spielte sie das hilfsbereite Mädchen. Und er wollte nur zu gern den dankbaren Jungen dazu spielen. Zögernd glitt sein Blick zu dem Buch in seiner Hand. Denisa war bei seiner Mutter. Sie bekam nicht mit, was er gerade tat und mit wem er sich unterhielt. Nathaniel hatte nie groß mit Menschen außerhalb seiner direkten Familie geredet und er hätte das liebend gern geändert. Machte es wirklich soviel, wenn er mit Joyce redete. Er musste ja nicht gleich ihr bester Freund werden. Nach diesem Schuljahr würden sie beide sich sowieso aus den Augen verlieren und sollte seiner Mutter vorher etwas passieren, würde er eben Hogwarts sofort verlassen. Das sollte doch klappen, oder? Nathaniels Herz schlug bei dem Gedanken daran, endlich mit jemandem reden zu können, ein bisschen schneller. Natürlich würde er nicht über Denisa reden. Aber einfach über Alltagsdinge. Wie er den letzten Unterricht gefunden hatte und solche banalen Dinge.
"Ich interessiere mich nicht so sehr für gewöhnliche Geister", korrigierte Nathaniel noch immer etwas abwesend, weil er mit seinen Gedanken und der Frage, ob er es wagen sollte, beschäftigt war.

"Selbstverständlich", murmelte Joyce artig und verständnisvoll. Sie hatte den Unterschied in seiner Stimme bemerkt und wusste nicht, was sie damit anfangen sollte, also kommentierte sie es nicht. Er wirkte gedankenverloren und diese Zeit nutzte die Siebzehnjährige, um ihn verstohlen von der Seite zu beobachten. Irgendetwas schien ihn so sehr zu belasten...und wieder fragte sie sich, warum sie unbedingt helfen wollte. Was war an ihm, dass sie ausgerechnet ihm helfen wollte?
"Sir Nicholas ist ein sehr intelligenter Geist. Ich weiß zwar nicht, was du suchst, aber vielleicht kann er dir dennoch weiter helfen. Und kennen lernen wirst du ihn irgendwann ohnehin, er ist der Hausgeist von Gryffindor", fügte sie hinzu, hielt sich zurück und blieb einfach höflich. Alles andere verschreckte ihn ja offenbar.

Nathaniel war froh, dass sie nicht mehr nachhakte. Dieses Mal schenkte er ihr sogar ein kleines Lächeln und entspannte sich ein bisschen. Er konnte es doch einfach mal versuchen, oder? Weggehen konnte er immer noch. Joyce fand ihn eh schon verwirrend, da würde das bestimmt nicht mehr auffallen. Nun hatte Nathaniel nur ein Problem. Er redete wirklich nicht oft mit Menschen. Ein wenig ratlos strich er mit einer Hand durch seine Haare und spielte mit der anderen Hand an einer Ecke des zweiten Buches herum.
"Ich werds mir merken, danke." Nathaniel hatte nicht wirklich Hoffnungen, dass der Hausgeist ihm weiterhelfen konnte. Obwohl diese beiden Wesen den gleichen Namen teilten, waren Geister von Denisas Art doch vollkommend anders als Geister von der Art, wie es sie in Hogwarts gab.
So ... und was redete man jetzt mit jemandem, mit dem man reden wollte?

Verwundert bemerkte sie das Lächeln. "Wahnsinn, er kann lächeln", rutschte es ihr heraus, so, wie sie sonst auch mit ihren Freunden rumschäkerte. Eine leichte Röte schlich sich auf Joyce' Wangen und sie drehte verlegen den Kopf weg, strich eine Haarsträhne aus ihrem Gesicht. "Entschuldige", wisperte sie leise und nickte dankbar auf die nächste Bemerkung. "Gern", murmelte sie und hoffte gerade tatsächlich, dass Nicholas ihm vielleicht helfen könnte. Und dass irgendetwas sie aus ihrer Peinlichkeit retten würde.

Nathaniel wandte ertappt den Blick ab und schaute wieder auf das zugeschlagene Buch, als Joyce ihn aufzog. Was sollte er denn dazu sagen? "Gewöhn dich nicht zu sehr dran", riet er schließlich, allerdings spielte immer noch die Andeutung eines Lächelns um seine Mundwinkel. Da entschuldigte Joyce sich auch schon für die Bemerkung und er schaute sie wieder an, dieses Mal überrascht. So schlimm war die Bemerkung gar nicht gewesen, also zuckte er mit den Schultern und verkniff sich ein weiteres Lächeln. Gerade noch hatte er Joyce gesagt, dass sie sich nicht daran gewöhnen sollte, da konnte er das nicht schon wieder machen. Aber sie war rot geworden und das war etwas, dass er von ihr nicht erwartet hatte. Und das hübsch aus.
"Gibt es außer dieser Art von Geistern noch andere im Schloss?", fragte Nathaniel dann möglichst beiläufig.

"Dabei siehst du sogar wirklich nett aus, wenn du lächelst", murmelte sie leise und schenkte ihm ein kleines Lächeln, als er ihr sagte, sie solle sich nur nicht daran gewöhnen. Glücklicherweise fasste er ihre unüberlegte Bemerkung nicht als Beleidigung auf, was sie um Einiges erleichterte. Sie bemerkte, dass er sie ansah und ihr Lächeln wurde etwas wärmer. Sie strich sich eine weitere widerspenstige Haarsträhne aus der Stirn und zuckte dann leicht mit den Schultern. "Peeves lebt noch im Schloss, neben unseren Hausgeistern."

Nathaniel schätzte, dass die passende Antwort jetzt 'Danke' wäre, aber stattdessen musterte er Joyce einen Moment neugierig und statt des Danks kam ein ganz anderer Satz aus seinem Mund. "Und wie genau sehe ich aus, wenn ich nicht lächle?" Vielleicht ja abschreckend. Das würde erklären, warum der Rest der Schüler es ihm soviel leichter machte als Joyce, Abstand zu wahren.
Ihr Lächeln war jedenfalls ansteckend und Nathaniel hatte Mühe, eine halbwegs neutrale Miene beizubehalten.
"Und Peeves ist was genau?", hakte er interessiert nach.

Joyce überlegte einen Moment, wie sie es in Worte fassen sollte. "Naja, wenn du nicht lächelst, dann wirkst du...viel ernster und eigenbrötlischer, weswegen du zwar aus der Ferne vielleicht interessant bist, aber man nicht weiß, wie man ein Gespräch mit dir anfangen soll", murmelte sie und warf ihm nur kurz einen Blick zu, bevor sie wieder die Weide ansah, die gerade einen weiteren Vogel davon schleuderte. "Peeves ist der Poltergeist der Schule, eine echte Nervensäge und sehr einfallsreich, wenn es darum geht, anderen Menschen das Leben schwer zu machen."

Nathaniel legte den Kopf schief und seine Mundwinkel hoben sich minimal an. Das klang eigentlich ganz gut. Genauso wollte er rüberkommen, abzüglich des Parts, in dem er interessant aussehen sollte. Offenbar konnte er seine Rolle gut spielen und zum Glück kamen ihm dabei auch keine Veelagene mehr in den Weg. Mit seinem Vater schien der letzte Nachfahr verstorben zu sein, der das Erbe von Denisas Mutter weitergetragen hatte. "Das hat dich nicht daran gehindert, es zu versuchen." Nathaniel zögerte kurz, doch dann ließ er zu, dass sich seine Mundwinkel ein Stück mehr hoben.
Ein Poltergeist also. Auch das war Denisa nicht. Zumindest hatte Nathaniel nie erlebt, dass sie Dinge berühren konnte, aber andererseits ... er konnte es nicht garantieren. Vielleicht hatte sie der ein oder anderen Person doch den endgültigen Schubs von der Schlossbrüstung gegeben? Das größere Problem war jedenfalls, dass sie ihre Veelagabe noch einsetzen konnte. "Ja, Geister können in diesem Punkt sehr einfallsreich sein", stimmte Nathaniel grimmig zu.

"Naja, eigentlich hast du mich ja angesprochen", erinnerte sie ihn leicht schmunzelnd und zuckte dann leicht mit den Schultern. "Außerdem...habe ich ein Faible für die schwierigen Fälle, fürchte ich...und ich habe vor ein paar Jahren auch schon mal gelernt, dass man seine Vorurteile überwinden und sich ein eigenes Bild verschaffen sollte", erklärte sie und dachte an Dion und diese schicksalhafte Zaubertrankstunde. Gleichzeitig drängte sich in ihr dann der Gedanke auf, dass sie eben diesen Slytherin noch nicht gesehen hatte, seit sie wieder im Schloss war. Egal. Nathaniel lächelte und über Dion konnte sie sich später Gedanken machen. Er war bestimmt in Sicherheit. Joyce erwiderte sein Lächeln warm und zog dann eine Augenbraue hoch. "Klingt, als hättest du Erfahrung damit?", hakte sie behutsam nach.

Nathaniel schmunzelte und schüttelte den Kopf. "Das stimmt zwar, aber ich habe dich gefragt, wo ich hinmuss. Ich habe bestimmt nicht gefragt, ob wir Freundschaftsbändchen tauschen wollen."
Soso, er war also ein schwieriger Fall. Das ein bisschen, als würde Joyce ein soziales Projekt betreuen und nicht nur einfach mit anderen Schülern reden. "Ich bin mir nicht sicher, ob ich mich über diese Beschreibung freuen soll." Trotz der kritischen Worte lag noch ein kleines Lächeln auf Nathaniels Gesicht, das aber verschwand, als Joyce nach seiner Erfahrung mit Geistern fragte.
"Ich bin auf einer alten Burg in Rumänien aufgewachsen, die hat ihre eigenen Geistergeschichten", erwiderte er vage. Es wurde Zeit, vom Thema abzulenken. "Was ist mit dir? Bist du in England geboren?"

"Naja, aber dennoch hast du den ersten Schritt gemacht...sonst hättest du wahrscheinlich bis zu einer Unterrichtsstunde warten müssen, bevor etwas passiert", sie zwinkerte ihm frech zu, sich nicht bewusst, dass man ihre Worte auch zweideutig auffassen konnte und schüttelte bei seiner nächsten Bemerkung rasch den Kopf. "Nein, so war das nicht gemeint, die Beschreibung sollte nicht klingen, als ob ich mich mit dir beschäftige, weil ich meinen sozialen Status aufbessern will, oder so, damit ich besser da stehe. Wie schon gesagt, du siehst nett aus, wenn du mal lächelst...und ja..." Wieso hatte sie das Gefühl, sich um Kopf und Kragen zu reden? Der Gedanke brachte wieder eine leichte Röte auf Joyce' Wangen und sie war froh, als er sie mit der Frage nach ihrer Herkunft ablenkte. Als Antwort schüttelte sie den Kopf. "Nein, ich bin Irin."

"Und dann hättest du in der ersten Stunde was getan?", fragte Nathaniel bei diesem Satz trocken nach und schaute Joyce erwartungsvoll an. Mit einem hatte sie Recht, er lächelte sonst selten. Jetzt schien er seine Mundwinkel gar nicht mehr wirklich nach unten zu bekommen. Wahrscheinlich war es einfach ungewohnt, mit jemandem reden zu können.
"Also beschäftigst du dich mit mir, weil ich gutaussehe?" Nathaniels Mundwinkel zuckten weiter nach oben. Nicht nett. Er redete das erste Mal tatsächlich mit Joyce und schon zog er sie auf. Aber es machte einfach Spaß. Außerdem sah Joyce süß aus, wenn sie verlegen war.
"In Irland war ich noch nie, aber das Land soll sehr schön sein", stellte er auf ihre letzte Aussage hin brav fest, um ihr die Möglichkeit zu geben, schnell von seiner Aufzieherei abzulenken.

Die Röte auf ihren Wangen vertiefte sich, als ihr bewusst wurde, was sie da eben gesagt hatte und sie wandte peinlich berührt den Blick von ihm ab, starrte die Weide an. "Also...dich angesprochen...also...nichts, was du sonst denken magst", murmelte sie und bei seinen nächsten Worten wurde es nur schlimmer. "Nein, so war das auch nicht gemeint...du bist nett", machte sie einen kläglichen Versuch, sich zu retten, sie war jetzt tatsächlich viel zu verlegen. Die Bemerkung zu ihrem Land brachte sie wieder ein bisschen auf sicheres Terrain, aber sie sah ihn noch immer nicht wieder an. "Irland ist wunderschön. Sehr grün, sehr lebendig und...wunderschön." Sie liebte ihre Heimat.

Nathaniel unterdrückte mit sehr viel Mühe ein noch breiteres Grinsen. Das war ... ungewohnt. Sonst musste er selten ein Grinsen unterdrücken. Vielleicht mal ein Lächeln, weil er den Wunsch hatte, jemandem freundlicher zu begegnen, aber nie ein Grinsen, weil er ernsthaft belustigt war. "Was genau sollte ich denn sonst denken?", fragte er im beiläufigen Tonfall nach und schaute Joyce unschuldig an. "Möchtest du mir vielleicht zeigen, was du sonst meinen könntest?", zog er sie weiter auf, auch wenn er sich selbst damit überraschte.
"Oh, also nicht gutaussehend, sondern nett. Ich weiß noch nicht, ob das schmeichelhaft ist oder nicht." Nathaniel legte belustigt den Kopf schief, aber sein Blick war warm. Das hier war irgendwie schön. Besser als alle immer nur wegzustoßen. War es das, was Denisas Anwesenheit ihm sein ganzes Leben lang verwehrte?
"Das hört sich traumhaft an."